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•••Ⓚontakt

Blutmond - Schwarze Sonne (Teil 2)

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V-Theorie (Pt. 5e)

VoRsIcHtbitte die FAQs lesen!
Weiterführung der Reihe: "Die Erde ist nicht rund"

Die Hitze war erloschen. Kalter Schweiß. Cold Sweat. De La Part Des Copains. Einer der vielen mittelmäßigen Filme von Charles Bronson aus den 70ern. Ein Lied, gemeint hier der finale Track, komponiert von Michel Magne. Aus alten Sachen Neue machen ist ein alchemistisches Vergehen, weil sie dann auch als neu angepriesen werden, was sie aber nicht sind. Warum mir jedoch genau dieser Schund in den Sinn fiel, als ich die angebliche Lichtgestalt auf seinem ledernen Sessel hinter dem rustikalen Schreibtisch erblickte, wusste ich zuerst nicht. Der Tisch an sich, in seiner halbrunden Form, an die äußere Hausinnenwand geschoben, zur Eingangsseite hin offenstehend, jenes bearbeitete tote Objekt erweckte in mir mehr Interesse als das Dunkelwesen dahinter. Selbst die Massivregalwand hinter ihm, bestückt mit zumeist dicken Wälzern, war ansprechender.
Zugegeben, rein körperlich sah er nicht auffallend aus. Nicht auffallend, wenn ich nicht in einem Ashram eines Krshna-Dorfs gewesen wäre und dort nicht der "Guru-Guru" hinter der Fassade sitzen würde. Gut, er hatte kurz geschorenes Haar, eine dunkelorangefarbige Kurta am Leib, doch: Da fing es schon an. Das typische indische Baumwollhemd hatte am Halsende keine Knöpfe - dafür am Handgelenk -, schien etwas kurz, keinesfalls knielang, ohne bestickte Ornamente, und vor allem war es an den Seiten nur geringfügig aufgeschnitten. Es endete eher auf Taillenhöhe als irgendwo am Ende der Oberschenkel. Ich brauchte meinen Blick nicht schärfen, meinen Winkel nicht verändern, um festzustellen, dass da Denimstoff seine Beine bekleidete. Seit wann trugen solche "Persönlichkeiten" helle und, wie in seinem Fall, sogar ausgewaschene Jeans?

Ohne ein Wort aus seiner Kehle deutete er mir mit einer Geste seiner rechten Hand an, den Platz auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches einzunehmen. Es war die einzige Sitzgelegenheit in dem kleinem und nicht gerade hohen Raum, stehend mit seinen vier Beinen auf dem Boden eines Teppichs, der auf mich eher aus anatolischen Gefilden kam, als denn vom Subkontinent aus Südasien. Es war auf den ersten Blick das Einzige in diesem Zimmer, dass überhaupt Muster aufwies. Überlegungen nach dem Material ersparte ich mir. Rückwirkend gehe ich allerdings von Kamelwolle aus und will mir dabei nicht vorstellen, wie leidvoll das Leben jener Tiere gewesen sein musste. Konträr dazu wirkte das darauf gestellte Möbel an sich: eine hohe Lehne, Vorderbeine, die aussahen wie die Hufe eines Tierwesens aus der Unterwelt, passend dazu überzogen mit weinroter Sitz- und Rückenfläche, das Komplettpaket exklusive Arme. Zögerlich nahm ich Schritt auf dieses Etwas. Jedem Auftreten meinerseits folgte das auf der Treppe schon vernommene Geräusch, das Knarzen der Bohlen unter dem raumfüllend ausgelegten Bodenbelags. Wenn es etwas gibt, was ich gerne überhöre, dann solche Geräusche. Es fühlt sich für mich so unangenehm an, wie für manchen quietschende Kreide an einer Schiefertafel oder aneinander geriebenes Styropor. Nun, eigentlich nicht, denn es ist die Vorstellungskraft, die mich oft zum Innehalten bringt. Vielleicht trifft das auch auf andere Menschen ähnlich oder ebenso zu. Im speziellen Fall hingegen meinte ich dem Holzlatten Laute zu entnehmen, die der Baum - aus dem sie gefertigt wurden - ausstieß, als er gefällt wurde. Es ist dieser Todesschrei. der in und mit ihnen noch lebt und gemeinsam mit allen ehemaligen Bewohnern jenes prächtigen Stammes im Chor, aus der jähen Angst und der Ungewissheit an sich, einstimmt. Es ist das Konzert der Stimmen, welches noch lebt, war es doch zu stark, um für immer zu verklingen.

Dem offensichtlich für mich bestimmten Platz nahm ich ein, nicht weit hinter mir die drei schmalen Eckfenster gen Westen. Ich versuchte einen Punkt zu finden, auf den ich mich konzentrieren könnte, um ihn ja nicht genauer ins Gesicht schauen zu müssen. Durch das Tragen meiner Sonnenbrille war es ihm sowieso nicht gestattet mit mir Augenkontakt aufzunehmen, ferner konnte er durch die Gläser nicht hindurchblicken. Dieses Stück Eisengestell auf meiner Nase war meine größte Hoffnung, zumindest ein Vorteil, der - und das nehme ich vorweg - mir auch nicht viel einbringen sollte. Noch ehe ich meine visuelle Fixierung ausrichten konnte, startete er unvermittelt, ohne sich vorzustellen oder nach meinem Namen zu fragen, das Gespräch.

ER "Überrasche ich dich?"
Verwundert und unbewusst musste ich wohl meine Augenbrauen hoch gezogen haben. Offensichtlich nahm er dies als eine wortlose Antwort hin.
ER "Weder schaue ich aus wie ein Krshna, noch macht dieses Zimmer einen typischen Eindruck auf dich, habe ich nicht recht?"
ICH "Ich weiß nicht, von was Sie reden?"
ER "Ach, bitte. Wir sind unter uns. Ich kann sehen was du denkst - von meinem Hemd, dem Teppich oder dem Stuhl. Du trägst deine Gedanken vor dich her wie ein Caddie die Schläger des Golfers hinter sich her schleift."
Er konnte meine Gedankenbilder sehen! Das schien total unmöglich. Ich traf bis zu jenem Zeitpunkt noch nie eine Person, die dazu im Stande war, obendrein auch noch so klar, um sie korrekt zu deuten. Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte, bewahrte jedoch einen kühlen Kopf, um trocken zu entgegnen.
ICH "Ich werde Sie nicht beraten, welches Holz das Beste ist."
ER "Wie du möchtest, aber grundsätzlich bist du ja hier hergekommen, um mir eine Frage zu stellen, in der Hoffnung ich hätte darauf für dich eine angemessene Antwort."
Ich fühlte mich in dieser skurrilen Situation sehr unwohl, und entschied mich ab sofort ausschließlich ehrlich zu sein und seine Neigung zur Konversation zu nutzen, indem ich ihn einfach reden lies. Seine ungenauen oder falschen Aussagen versuchte ich ferner von nun an zu ignorieren oder gar als richtig anzunehmen. Ich spekulierte, dass er sich schlicht und ergreifend selbst gerne reden hörte, keine Gegenrede duldete, und dies zu meinen Gunsten enden könnte, würde ich meine Antworten auf wenige einsilbige Worte beschränken.
ICH "Ja, das trifft zu."
ER "Gut, dann will ich dir eine alte Geschichte näherbringen. Sie geht zurück auf eine Erzählung, die Ähnlichkeiten mit anderen altertümlichen Niederschriften hat. Im Grunde kannst du Teile dieser als Analogie zur Genesis sehen. Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine Beschreibung von Entstandenen, so gelebt von einer Vielzahl der Bevölkerungsschichten auf dem Subkontinent Indien." 
Ich versuchte meine Gedanken zu unterdrücken, konnte ich mir doch schon vorstellen, auf was er wohl hinauswollte, frei einer Entscheidung nach, es bei den vorherrschenden Rollenverteilung klar zu belassen: Er war bei unserem Zusammentreffen und in seiner Auffassung der Guru, ich hingegen lediglich der Schüler; dennoch: Gurus existieren nur dann, wenn es auch Schüler gibt. Und des Gurus liebster Schüler ist stets der Unwissende.
ICH "Ich werde aufmerksam zuhören."
ER "Dass solltest du auch. Ich werde dir nämlich deine Frage nicht direkt beantworten. Du musst selbst herausfinden, was die Bestimmungen der dir bislang bekannten zwei Gestirne - Sonne und Mond - sind. Ferner wäre es erstrebenswert, wenn du den Hörensagen um deine Person nachkommen würdest. Ich erzähle dir also die Geschichte und du versuchst sie in Einklang mit deinem Weltenmodell zu bringen, vorzugsweise direkt nach dem ich endete."
Er hatte mich erneut überlistet. Dummstellen war wohl keine Option mehr. Ergo wollte er einen mitdenkenden Schüler in mir erkannt haben. Nun gut, Ehrlichkeit wollte ich sowieso ausströmen. Ich sollte mich nicht länger in Ausflüchten verzetteln, um tatsächlich ehrlich zu sein und nicht nur so zu wirken. Es war wohl besser, meine wirren Gedankengänge offenzulegen, als sie zu unterdrücken. Zutiefst glücklich über diese Erkenntnis lallte ich vor mich hin.
ICH "Sooner or later I'm gonna catch you with your god."
ER "Wie bitte?"
Touché! Zum ersten Mal schien er überrascht. Ich wiederholte meine Äußerung, allerdings begleitet mit der imitierenden Geste von Ausrufezeichen, ehe ich kess fortsetzte.
ICH "Ein Zitat von Charles Bronson aus dem Film 'Kalter Schweiß'. Ich dachte, Sie können meine Gedankenbilder sehen. Überrasche ich sie?"
Er spielte kurz mit abweisenden Gesten, lehnte sich zurück und lies seinen Kopf ein wenig zur Seite neigen, bevor er in jener Position überheblich fortfuhr.
ER "Keineswegs. Das Zitat endet im Übrigen auf 'guard' und 'done'. Unabhängig davon: Es waren deine ersten Blitze, die sich hier im Raum manifestierten. Ich hielt sie für zu sehr trivial, um ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Aber was erzähle ich dir? Wer, außer dir und mir, weiß es wohl nur zu genau wie anstrengend das Leben sein kann, wenn man ständig mit Unsinnigen konfrontiert ist."
Nun war es ich, der die Kopfstellung veränderte. Ich streckte meinen Hals nach oben, lies ihn eine Weile auf dem Genick ruhen. Mit dem Blick auf die holzvertäfelte Decke zählte ich deren Latten, um mir auf ein Neues klar zu werden, dass diese Unterhaltung keine einfache werden würde. Kraft gegen Kraft, oder vielmehr Geist gegen Geist, schien keine Option zu sein. Ehrlichkeit kann sich nur entfalten, wenn die Offenheit vorherrschend ist. Ehrlichkeit war das Gut der Stunde, auf das ich mich schon anfangs einlassen wollte, gemischt mit einer Prise an einfacher Wortwahl, die nur dann richtig klingt, wenn man sie auch dementsprechend interpretiert. Frei von Hoffnung und Wissen darum, ob auch er dazu in der Lage sein würde, riskierte ich es aufs gerade Wohl, um es herauszufinden.
ICH "Ja, das Leben inmitten von Krshna-Jüngern kann sich sehr wohltuend gestalten."
ER "Ich sehe. Zum ersten Mal habe ich den Eindruck, dass..."
Er hielt kurz inne, hob dann seine Hände leicht über Schulterhöhe, um vor jedem der drei nachfolgenden Worte seine Zeige- und Mittelfinger synchron zu beugen und zu strecken.
ER "... 'wir' 'uns' 'verstehen'."



- Fortsetzung folgt -

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