Gastbeitrag: Großer schwarzer Vogel
Social Media (Pt. 33)
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Großer schwarzer Vogel
Von Frank-Reg. Wolff
„Die Ideen der Hoffnung
sind konkret und reich an Gestalten.
Die Hoffnung lebt von dem festen Vertrauen,
daß etwas möglich ist, das es noch nicht gibt.
sind konkret und reich an Gestalten.
Die Hoffnung lebt von dem festen Vertrauen,
daß etwas möglich ist, das es noch nicht gibt.
Daher ist der Inhalt aller großen und kleinen Hoffnungen
immer eine Utopie. Utopie heißt in wörtlicher Übersetzung:
Nicht-Ort, kein Ort, nirgends, und Utopia ist
der Name jenes wunderbaren Landes,
das nirgends ist...“¹
immer eine Utopie. Utopie heißt in wörtlicher Übersetzung:
Nicht-Ort, kein Ort, nirgends, und Utopia ist
der Name jenes wunderbaren Landes,
das nirgends ist...“¹
Robert Havemann hatte diese Worte geschrieben und heute ist mir klar geworden: Utopia liegt im Jenseits! Er, die Rede ist von meinem besten Freund Roderich, war hoch talentiert und elf Jahre jünger als ich. Wir hatten uns vor dem EU-Beitritt Rumäniens 2007 in Siebenbürgen kennengelernt oder besser gesagt: angefreundet. Rodi, wie er kurz und freundschaftlich genannt wurde, war ein sonderbarer Vogel wie ich selbst einer war und noch immer bin. Aber ich will hier nur der Berichterstatter sein und nicht im Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit stehen. Es geht in diesem Text nur um Rodi. Erst- und letztmalig nur um ihn, der zum Ende seines 53-jährigen Lebens, kurz nach seinem Geburtstag in Hamburg Hand an sich legte. Er hatte dafür die Hemingway-Methode gewählt, die ich für äußerst brutal halte, brutal gegen sich selbst und indirekt auch gegen alle anderen, die ihm nahe standen. In Hermannstadt, wo ich Rodi kennengelernt hatte, kannte ich einen Deutschen, der dort eine Molkerei betrieben hatte und dann von Rumänen in den Ruin getrieben wurde: Hans Malm. Auch er hatte als letzten Ausweg die Hemingway-Methode angewandt und sich den Gewehrlauf in den Mund gesteckt und abgedrückt. Das Zimmer, in dem er das tat, war hinterher blutrot und das Hirn von Hans Malm hatte sich in seine Bestandteile aufgelöst und hing an Decke und Wänden verteilt. Wer wohl heute in diesem Zimmer lebt und ob er von dieser Tragödie etwas weiß? Nein, wohl eher nicht, ist die Welt doch voller Ahnungsloser und darüber hinaus voll der alltäglichen Tragödien und du, lieber Rodi, hast deine eigene dieser großen Tragödie hinzugefügt. Dafür klage ich dich nicht an, warum auch, es war dein Wunsch und Wille diesem unerträglichen Depressionsdruck ein für alle Mal zu entfliehen und, da ich dies selbst schon im Leben probierte und seither von geschenkter Zeit lebe, zolle ich dir alle Achtung die dir und diesem letzten konsequenten Schritt gebührt! Der Selbstmord - wie er unschön genannt wird und besser Freitod bei uns hieß -, war oft unser Thema wenn wir über das Leben philosophierten, und ich wünschte du könntest diesen letzten Text hier noch lesen, den ich dir allein widmen möchte. Deshalb will ich dir erzählen wie alles anfing, wie ich als 6-jähriger Junge abends mit meiner verzweifelt weinenden Mutter am Küchentisch saß und gleichfalls verzweifelt versuchte meine Mutter davon zu überzeugen uns, mich und meine beiden jüngeren Geschwister, nicht zu verlassen. Meine alleinerziehende und sorgende Mutter wollte uns und ihr Leben verlassen. Undenkbar für mich damals, und ich flehte sie mit meiner Kinderstimme an, es nicht zu tun, da wir sie doch brauchten...
Am nächsten Tag kam ein Krankenwagen und holte sie ab – sie hatte es doch getan und war glücklicherweise nicht daran gestorben. Wir Geschwister kamen erst einmal gemeinsam ins Waisenhaus und ich hatte etwas sehr schlimmes gelernt, lernen müssen: meine Liebe konnte einen Menschen nicht in diesem Leben halten. Diese Erfahrung sollte ich noch oft im Leben machen und diese Todesfuge wurde somit zum Hauptthema meines Lebens und ich später zeitweilig zum Freitodbegleiter. Einmal hatte eine junge Frau mit dem Namen Saskia Kontakt mit mir per Email aufgenommen, da sie über meine Webseite auf mich aufmerksam geworden war. Sie litt seit Jahren an manischen Depressionen, wie sie mir später bei unserem einmaligen Gespräch in Berlin erzählte. Sie sagte zum Schluss dieses Gespräches auch, ich hätte ihr allein schon dadurch geholfen ihr diesen Todeswunsch - den sie schon seit Jahren durchs Leben schleppte - nicht ausreden zu wollen und ihn zu akzeptierten. Ich hörte dann nie wieder etwas von ihr und denke, auch sie hat unsere Welt sang- und klanglos verlassen. Wahrscheinlich wird sie eine Methode gewählt haben, die [den] Frauen eher liegt, vielleicht sich mit Medikamenten zu vergiften. Nur Männer schieben sich einen Gewehrlauf in den Mund und drücken dann ab...
Eine andere, lang zurückliegende Geschichte spielte sich in den Niederlanden ab, wo ich noch vor der Wiedervereinigung Deutschlands ein paar Jahre in Den Haag gelebt hatte. Kurz nach meinem Eintreffen dort machte ich in der Fußgängerzone der Haager Innenstadt die Bekanntschaft eines Straßenmusikanten mit Namen Joost. Er war ein sehr gefühlvoller Sänger mit einer schönen Stimme und begleitete sich selbst sehr gekonnt auf der Gitarre dazu. Wir sollten Freunde werden, so war es im Buch des Schicksals geschrieben, so wie bei dir und mir, lieber Rodi, und: auch das Leben von Joost sollte tragisch enden. Ich möchte dir gleich seine Geschichte erzählen, wie er sie mir vor jener halben Ewigkeit selbst erzählt hatte. Joost war das erste und einzige Kind seiner Mutter, die eine erfolgreiche Modedesignerin werden wollte. Zwar trieb sie ihr ungewolltes Kind nicht ab, aber sie gab es schon als Kleinkind ins Heim, wo Josst dann aufwuchs. Sein Urvertrauen war dadurch massiv geschädigt worden und er hatte sein Leben lang Ängste verlassen zu werden. Wer aber davor Angst hat, der wird verlassen – leider! Später dann hatte Joost eine junge Frau kennengelernt und beide hatten sich ineinander verliebt; die Welt war rosarot und beide waren sehr glücklich bis zu dem Tag, an dem ihn seine Geliebte verließ. Joost saß dann mit seiner ganzen Verzweiflung bei mir auf dem Sofa in der Weimarstraat und schüttete mir sein Herz aus. Auch er wollte sich das Leben nehmen, Hand an sich legen. Zum Schluss unseres Gespräches sagte mir Joost in seiner niederländischen Muttersprache, die er indes nicht von seiner Mutter gelernt hatte, er fühle sich jetzt wieder besser und wisse doch gleichzeitig, wenn er in ein paar Minuten wieder allein auf der Straße sei, würde die alte Verzweiflung abermals da sein...
Im Nachhinein hörte ich dann von seinem bezeichnenden Ende. Er war bei seiner Mutter in ihrem Amsterdamer Haus zu Gast, und seine Mutter fand ihn morgens erhängt am Treppengeländer.
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Großer schwarzer Vogel, den Ludwig Hirsch² besang, der vor zehn Jahren aus dem Fenster eines Wiener Spitals sprang, fliege auch du mit ihm ins jenseitige Land Utopia, und ich bleibe mit tiefem Bedauern im Aipotu-Gartenreich mit meiner Familie zurück, hatte ich dich doch in unser kleines Paradies eingeladen, um mit uns zusammen hier zu leben...
Herzlichst
Dein Freund
Franky & Family
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Anmerkungen und Hinweis:
Weitere Texte vom Autor findet man hier: https://sinnbuch.blogspot.com/.
Internetlos empfehle ich bei Interesse sein Erstlingswerk über mich zu ordern: info@nachadla.de.
(Formeller) Disclaimer: Nicht alle Passagen entsprechen meinem Weltbild und wurden dementsprechend von mir bei der Eingabe und der Nachlese nicht geprüft, insbesondere blieben sie unzensiert. Vom Gesamtinhalt kann ich mich daher nur distanzieren und verweise für Rückfragen auf die oben aufgeführte E-Mail-Adresse.
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¹ Robert Havemann. Morgen: Die Industriegesellschaft am Scheideweg. Kritik und reale Utopie. Piper-Verlag 1980, ISBN 3-492-02617-6.
Online-Quelle Edition Zeitsprung, Berlin 2019, ISBN 9-783-7412-9385-6. 2. Auflage, Seite 56, Zeile 16-21; Direktlink zu Google Books [24.11.2021].
² Musikvideo auf YouTube: https://youtu.be/ibREmAkEgJo [24.11.2021].
* Quelle Titelbild: https://pixabay.com/de/vectors/feder-kr%c3%a4he-rabe-37604/.
** Dieser Schnappschuss zeigt den Autor (rechts) zusammen mit dem Verstorbenen vor ein paar Jahren in der Hamburger Kunstakademie; der Fotograf ist des Autors Freund, der im Text erwähnte, Dirk C. Fleck. Die Aufnahme unterliegt dem UrhG, alle Rechte sind vorbehalten bis auf die Ausnahme der Verwendung automatisch erzeugter Thumbnails, sofern dieser Eintrag in sozialen Medien geteilt wird; Wenn irgendwie möglich, sollte dies jedoch aus Pietätsgründen unterlassen werden.
** Dieser Schnappschuss zeigt den Autor (rechts) zusammen mit dem Verstorbenen vor ein paar Jahren in der Hamburger Kunstakademie; der Fotograf ist des Autors Freund, der im Text erwähnte, Dirk C. Fleck. Die Aufnahme unterliegt dem UrhG, alle Rechte sind vorbehalten bis auf die Ausnahme der Verwendung automatisch erzeugter Thumbnails, sofern dieser Eintrag in sozialen Medien geteilt wird; Wenn irgendwie möglich, sollte dies jedoch aus Pietätsgründen unterlassen werden.
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Kommentare zum Post
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Mit dem Titel habe ich eine andere Assoziation:
AntwortenLöschenhttps://www.youtube.com/watch?v=kcN1FOjUKjg
Ich kannte weder den Liedmacher noch seinen Song aus 1979 - meinem Entstehungsjahr - bisweilen. Was geschrieben steht im Blogpost stimmt allerdings, wie ich auf zeitlupe.ch nachgelesen hatte. An Lungenkrebs erkrankt stürtze sich Hirch mit 65 im Jahr 2011 aus dem Fenster eines Spitals in Wien. Mit dem Suizid und dem Lied an sich besteht da indes kein Zusammenhang, das wäre geradezu prophetisch.
LöschenTrotzdem danke Tamaro, für den Link zur überarbeitete Version, die gleich gewaltiger daherkommt, als der ursprüngliche Link.