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•••Ⓚontakt

Das Unwort

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Über- oder bedenkenswert (Pt. 26)

Ich schaue selten TV, weil ich kein TV-Gerät habe. Andererseits braucht auch niemand mehr einen TV, um TV zu schauen. Formulieren wir, explizit ich, den Eingangssatz also anders: Ich schaue äußerst selten gebührenpflichtige Sender, aber wenn ich es tue, dann fokussiere ich mich bei der Auswahl meiner Berieselungszeit auf hochwertige TV-Produktionen von Serien oder Filmen, die ein wenig nach meinem Gusto kommen.
 
Heute und gestern vor 82 Jahren war ein ganz schrecklicher Tag, den meine Großmutter väterlicherseits nicht in Deutschland erlebte. Sie war damals 9 Jahre und 2 bzw. 3 Tage alt und lebte in Schlesien als Tochter einer deutschen Frau, die mit einem jüdischen Mann die Ehe schloss und 7 Kinder zeugte. Wie sie den Tag - oder exakter: die Kunde davon und das danach - erlebte, kann ich heute niemanden mehr fragen, muss ich allerdings auch nicht, weil ich es weiß, weil sie es mir erzählte; doch jene noch so lebhaften Wiedergaben aus besagter Zeitgeschichte, aus ihrer Geschichte, nachgerichtet an mich, sollen hier und heute nicht in meine paar Wort mit einspielen. Denn im Grunde war es auch nicht der Tag oder die Nacht an sich, es war vielmehr die Geburtsstunde einer Folge von Jahren, in denen Abscheuliches geschah, dass bis zum heutigen Tag nachwirkt; Ich gehe sogar noch weiter: Daran wird sich auch nichts Wesentliches bis zum Beginn des Jahres 6000 - nach der Erschaffung der Erde durch HaSchem - ändern, nichts, dass die Dinge in Vergessenheit geraten lassen wird. 

Was mich hingegen besonders an den damaligen Vorkommnissen "wurmt", hat mit dem Film "Das Unwort"* ganz viel zu tun. Und da ich generell keine Filmkritiken schreibe, begrenze ich mich auf meinen kleinen Schnipsel - dem essentiellen Part -, der das gesamte Werk in ein falsches Licht zerrt - bedauerlicherweise in ein solches, dass mit der "Philosophie" der Rassentheorie der Nationalsozialistinnen** ganz viel gemein hat. Demnach waren jüdische Mischlinge ersten Grades solche wie eben der Hauptdarsteller des Films, und auch meine Oma. Der Vater Jude, die Mutter Deutsche. Ich dagegen sage: Weder er - der Protagonist -, noch meine Großmutter waren Juden, denn sie haben zwei Dinge gemein: Ihr Vater war Jude und sie waren lediglich (oder ergo) Samen der Kinder des Volkes Israels.

Der Absatz tut mir gut und allen LeserInnen. Er tut auch so gut, und trotzdem komme ich nicht hinweg, meinen letzten Satz nach dem Kolon zu erklären. Was heute ein Jeder sagen würde, sagte man sich auch damals auf den Straßen: Der oder die ist Halbjude oder Halbjüdin. Doch stimmt das auch?
Genetisch wohl schon, aus dem Blickwinkel des auserwählten Volkes allerdings nicht. Wer das nicht glaubt, der sollte nochmals in der Bibel die ersten paar Sätze unter "Ausweisung Hagers mit Ismael" nachlesen. So wird der Abschnitt zumindest in meiner Elberfelder Bibel betitelt. Konkret wäre es die Stelle aus 1. Mose 21, 10-13***. Mehr braucht man nicht zu lesen. Die Interpretation dieser Passage ist obendrein offensichtlich. G'tt sagte zu Abraham er solle handeln, wie es seine Frau Sara ihm bestellt hatte, denn sie habe in allem Recht gehabt. Der Sohn der ägyptischen Magd Hager und des Juden Abraham war der Sohn der ägyptischen Magd, ein Same Israels, aber nicht Teil des Volkes. Er solle eine eigene Nation bekommen, und damit keinen Anteil erhalten oder etwas daran einfordern - insbesondere an allem, was noch folgen würde. Das klingt hart, aber es war gerecht und richtig. An der Sprache lässt es sich beispielsweise äußerst anschaulich verdeutlichen [+ auch ohne biblischen Bezug]: Ein Kind nimmt immer die Sprache der Mutter an. Es ist seine/ihre Muttersprache, weil es deren Mutter schon sprach und die Mutter davor. Die Muttersprache des Vaters des Kindes ist die Sprache dessen Mutter. Jeder denkt und träumt in seiner Muttersprache, weil seine/ihre Mutter auch schon in dieser dachten und träumten, als das Kind noch im jeweiligen Leib war. Ein Kind ist lange Teil der Mutter und partizipiert an ihrem Wesen, an ihren Gedanken und Träumen + es bleibt immer ein Stück der Mutter. Ja, man darf es gerne nochmal schreiben: Ein Kind ist stets ein Teil der Mutter - beginnend mit der Schwangerschaft und bis zum Ableben. Der Vater hingegen hat einen eher marginalen Einfluss darauf - davor wie als auch in den Jahren danach. Selbst wenn die Mutter früh sterben würde, so könnte der Vater das Kind aus dieser Symbiose niemals komplett befreien.
Ein weiteres Beispiel wäre die Beziehung zwischen den Elternteilen. Eine Mutter würde immer zu ihrem Kind stehen, weil es eben ein Teil von ihr war und ist. Die Beziehung zwischen einem Vater und seinem Kind ist dagegen oftmals an Bedingungen geknüpft. Verhält sich das Kind nach den Vorstellungen des Vaters, so erhält es die Wertschätzung. Entfernt es sich allerdings von den subtilen Normen, so wird das Verhältnis zwischen Vater und Kind auf die Probe gestellt. Mit trivialeren Worten: Ein Kind will den Vater gefallen, die Mutter allerdings verlangt eine solche Aufopferung in aller Regel nicht ein. 

Man kann diesen einfachen Deutungen sehr leicht widersprechen, doch stellen wir uns einmal - unter dieser Auslegung - folgendes vor: Was wäre gewesen, wenn die Nationalsozialisten** es ähnlich interpretiert hätten? Nämlich - und ich wiederhole -, Nachkommen von jüdischen Männern und deutschen Frauen sind keine Juden, nicht einmal halbe. Die Frage, die im Raum schwebt, sollte nicht ungefragt bleiben: Wie viele Menschenleben wären - folgt man den Leitgedanken - nicht einem sinnlosen Tod zum Opfer gefallen? Und ferner: Wie viele derer hätten ihre verwandtschaftlichen Grade nicht verschweigen, ihr Abstammungen verschleiern oder gar verleugnen müssen, während dieser Zeit und den vielen Jahren danach?

Der Film ist trotz alledem sehenswert, als Berieselung, wenn man Zeit hat. Die Schauspieler haben das Drehbuch ausdrucksstark umgesetzt. 


PS:
Aus (...) Gründen lasse ich zu diesem Blogpost keine Kommentare erst am 11.11.2020 zu. Wer mit mir unabhängig davon den Dialog sucht, der schreibt bitte eine E-Mail an kontakt@nachadla.de.
Nachtrag: Nach einer Gegenlese am Abend danach - ich schrieb den Blogpost zur mitternächtlichen Stunde (vom 09. auf den 10.11.2020) -, stellte ich fest, dass ich den Inhalt im ausgeruhtem Zustand wohl deutlich besser hätte ausformulieren können. Nun ist es aber so, und ich stehe dazu.
PPS: Das rohe Original ist hier einzusehen: https://kenswert.blogspot.com/2020/11/das-unwort.html 


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* https://www.zdf.de/filme/der-fernsehfilm-der-woche/das-unwort-100.html (Video verfügbar bis 01.11.2021) [09.11.2020].
** Merke: Nicht jeder Begriff sollte (heute) "gegendert" werden; manche sollten so bleiben, wie sie waren.
*** Direktlink zum Nachlesen: 
https://www.bibleserver.com/ELB/1.Mose21,10-13 [10.11.2020].

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