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•••Ⓚontakt

Die Zeitungen rufen, Teil 2

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Quatschikopf.in (Part 2b)
- siehe FAQs -


- Fortsetzung von Teil 1 -

Ich habe mich nie mit Langzeitstudien zum Erinnerungsvermögen von Haushunden beschäftigt, ich bin mir nicht einmal sicher, ob diese genau in die Richtung gehen wohin im Moment meine Gedanken trieben, als ich nur einen Handgriff entfernt war, das Problem der Nacht für Quatschikopf ein für alle mal aufzuheben.

Wenn man den Begriff Erinnerungen abstrahiert oder als ganzheitliches prägendes Erlebenis betrachtet, dann bin ich felsenfest davon überzeugt, dass wohl die Mehrzahl der in der Natur lebenden Tiere eine wesentlich bessere Intuition haben und dieser ohne weiterem Gedankengewerk nachkommen, als die Säugetiergattung Mensch.
Als Beispiel wäre das Erlebnis von Adelhaid mit dem Weidezaun angeführt, welches sie im Junghundealter erlebte. Damals gab es Quatschikopf noch nicht oder vielleicht schon, aber dann war sie noch sehr jung, ein Welpe, und gegebenenfalls schon an jenem Ort, den man so keinesfalls als fürsorglich bezeichnen darf [im Verlauf mehr, weil es im Kontext wichtig ist].


Ich spazierte seinerzeit mit der damals schon alten Hovawart-Riesenschnauzer-Mischlings-Dame Shila im Herbst 2007 und der gerade mal circa acht Monate alten Adelhaid auf Magergras- und Streuobstwiesen rund um eine Burg herum.
Es musste so zwischen 19 und 20 Uhr am Abend gewesen sein, zumindest hatte ich bereits meine Stirnleuchte auf den Kopf, die uns den Weg erhellen sollte. Wir waren auf den Rückweg nach Hause, nur noch zwei Hügel trennten uns von den Häusern der nahen menschlichen Stadtteilsiedlung, die sinnigerweise den Namen "Berggebiet" trug.
Da die Wiese trocken war zog ich den direkten Weg abseits des Trampelpfads vor, der um ein deutliches kürzer war. Nichts besonderes grundsätzlich, wäre da nicht ein Hindernis gewesen, dass sich in Form eines Schafspferchs ausmachte. Die erfahrene Shila kannte den sicheren Weg links an diesem vorbei, der etwa einem Meter breit war. Rechts war also der Pferch, links tat sich ein Buschwerk mit hohen Bamberger Kiefern auf.
Die werte Adelhaid erkannte auch mich und Shila im Dunkel des Abends, fatalerweise aber nicht das Hindernis zwischen uns und ihr, dass sich in Form eben der Schafszauns manifestierte. Ich als Mensch erkannte keinen Handlungsbedarf, da ich wusste, dass der Bauer den Pferch am Abend vom Solarstromnetz nahm.
Das sich hinter der Person des Stromabschalters aber ein Mensch verbirgt, der auch mal solche Praktiken vergisst, hatte ich nicht erwartet.
Um es kurz zu machen: das Labradormädchen rannte unverzagt gegen den Pferch, der eben doch noch auf Spannung stand. Ein herzzerreißendes Quietschen war die leidliche Folge. Sofort eilte ich mit Shila an die Unglücksstelle, fand aber zu meiner Verwunderung keinen vor dem Zaun stehenden Labrador an. Der Junghund hatte es irgendwie geschafft durch den Pferch zu schlüpfen und stand etwas verwundert nun in Mitten diesem.
Da war nun guter Rat teuer, glücklicherweise waren die Schafe auf der Anhöhe - also gute 100 Meter entfernt -, aber das interessierten weder dem Hund im noch dem Menschen und der anderen Hündin außerhalb des Pferchs. Wenn man eine ungünstige Situation positiv bewerten will, dann hätte man hier gleich zwei Anhaltspunkte. Zum einen war Adelhaid im Pferch, aber wohlauf. Sie hätte sich auch im Drahtgeflecht verwinden oder noch schlimmer mit dem Halsband hängenbleiben können, was eben nicht der Fall war. Des weiteren machte sie keinen Anschein hier nun rein hobbymässig Schafe in dilettantischer Kleinstarbeit zu hüten, was ich ihr sehr anrechnete. Ein Quatschikopf in so einer Lage würde zu ganz anderen Höhenflügen ansetzen.
Ich hatte also ein wenig Zeit zum Nachdenken und bediente mich meines Physikwissen aus der Grundschulzeit. Kunststoffe nimmt man eher zum Isolieren, nicht zum Leiten von Strom. Folglich sollten die Pfähle des Zauns mit der Hand greifbar sein, sofern ich behutsam und vorsichtig die Sache anging, wollte ich doch selbst nicht geschockt werden. Zuerst musste ich aber mal testen - und et voilà, die Lehrkraft hatte damals recht. 
Eine Pfahl reichte, um einen Durchschlupfpunkt für den gepferchten Hund zu öffnen. Dummerweise hatte das Fräulein Labrador nun gehörigen Respekt vor diesem Konstrukt. Ich konnte sie ergo nicht davon überzeugen dort nun gefahrlos durch zu laufen. 
Nun gut, in Eile war ich nicht und ein Plan B auch schnell gefunden, der mir allerdings ein wenig Sportsgeist abforderte. Ich entledigte mich somit der Jacke und den Hundeleinen, nahm etwas Anlauf und sprang gekonnt mit gehockten Beinen und ohne den Zaun zu tochieren über eben diesen.
Adelhaid wog damals noch etwas weniger als heute, was nicht heißt, dass sie heute viel wiegt, sie war eben jünger und noch nicht ausgewachsen. Grundsätzlich gehört sie eher zu den schlankeren Vertretern ihrer Rasse, die man in aller Regel so auf den gängigen Hundewiesen antrifft. Anders gesagt, war es für mich ein Leichtes sie hochzuheben und über den Zaun zu befördern. Der Rest war Formsache meinerseits, denn auch der Rücksprung gelang mir problemlos. 


Was diese Zwischengeschichte zum Ausdruck bringt ist leicht zu finden, denn selbst heute noch hat Madame Adelhaid kein Stückchen weniger Respekt vor solchen Zäunen. Zu Anfangs wollte sie gar nicht mehr dort vorbei, was sie bereits hunderte Meter entfernt durch Stehenbleiben und Absetzen deutlich zeigte. Und so ist es heute noch der Fall, wenn ein Pferch doch mal etwas zu nahe am Weg steht, den wir jedoch begehen müssen, um an unser Ziel zu gelangen. Ich rede ihr gut zu und führe uns zusammen daran vorbei. Aber ihr skeptischer Abstand zu diesem Drahtwerk ist deutlich sehbar.
Faszinierender ist aber, dass sie keine Grundangst vor Zäunen dieser Art hat, eine solche kommt nur dann auf, wenn sich Schafe in jenen aufhalten.  


Erinnerungen von Hunden sind ergo differenzierter zu betrachten und nicht mit denen von uns Menschen gleichzustellen. Passiert einem Hund so etwas in der Welpenzeit, wird er es als Greis auch noch abgespeichert haben. Menschliche Erinnerungen fangen jedoch weitaus später an, was es an dieser Stelle nicht näher zu erläutern gilt.
[für Interessierte ein Link und noch ein besserer aus der gleichen Reihe]
   

Quatschikopf hatte folglich negative Erinnerungen mit dem fortwährenden Geräusch des Übelstäters. Und ähnlich wie bei Adelhaid vermutete ich im Nachhinein eine Verbindung aus der Vergangenheit, die aus ihrem Leben vor dem Zusammenleben mit mir ihren Ursprung zu finden hatte.
Zwar war ich noch nie real in einem Tierversuchslabor, doch konnte ich mir gut vorstellen, das gewissen Töne aus dieser Zeit noch nachhaltige Wirkung auf meine Hundedame hatten. Das Geräusch des schon erwähnten Ventilators fiel unter anderem darunter. Auch CD-Rom-Laufwerke versetzen sie in ähnlich unglückliche Seinsumstände, nicht ganz so extrem panisch wie bei dem Luftwirbler, aber deutlich im Wesen des Tieres zu erkennen.
Auch wenn einige "Hundeversteher" gerade mit solchen Mitteln ihr Glück in der Hundekonditionierungswelt versuchen, bin ich jemand der davon absieht. Unbestritten werden Wurfkettenschmeißer ihr Ziel erreichen, ebenso wie auch Spritzpistolenschießer oder Leckerlidosenrüttler. Grundsätzlich sollte klar sein, dass egal wie human die Methode ist, das Muster der Abschreckung rein philosophisch gesehen nicht weit von einem Elektrozaun entfernt ist. Die Frage wäre in diesem Sinne, ob der Mensch in den Augen des Hundes in den Momenten der Erkenntnisbelehrung als der Heilsbringer zu sehen ist, der er eben doch eigentlich für sein Haustier sein sollte. Allemal ist die Gefahr des Vertrauensbruchs vorhanden und sollte bei solchen Aktionen berücksichtigt werden. Mal abgesehen davon ist es schon erbärmlich, wenn man Hilfsmittel benötigt. In diesem Sinne kann man sich nur wünschen, dass Menschen dieser Zunft mal ganz ohne Alles auskommen müssen. Ob sie dann weiterhin als der darstehen, für den sie sich ausgegeben haben wird der Hund ihnen zeigen. Fraglich, wie die Bewertung ausfällt. Meine Vermutung tendiert zu negativ.
Die Hundepfeifen- und Klickerbesitzer können das ja mal ganz praktisch ausprobieren. Einfach das Instrument des Drills zu Hause liegen lassen und in einem abgesteckten Gebiet die menschliche Stimme ausprobieren. Für Eigenversuche dieser Art übernehme ich keine Gewähr.


An unserem Kriegsplatz war auf jeden Fall schneller Handlungsbedarf meinerseits angesagt, der ohne große Überlegungen durchzuziehen war, um Quatschikopf weitere Qualen zu ersparen sowie das ganze Geschehen ein für alle Mal aufzulösen.
Es ging für mich keine Gefahr vom Störenfried aus, also hob ich ihn an seinem Gehäuse in meine linke Hand. Jetzt bestätigte sich auch meine Vermutung, dass der Kampf wohl über gut und gerne fünf Runden gegangen sein musste und somit fast eine Stunde dauerte. Einer der vier Zeiger, der kleinste und gelb war an allem Schuld, auch wenn der schmale rote und etwas größere durch ständige fortwährende Bewegungen auf sich ablenkend aufmerksam machte. Der gelbe war das Problem. Und eben er stand auf einer kleinen schwarzen Linie zwischen zwei größeren. Die rechte war näher als die linke. Das Ende des Zeigers deutete auf eine Zahl mit der Kennung zwei.
Es wäre nie zu einem Auslöser gekommen, wenn das quadratische Etwas nicht noch einen hochschiebbaren Schaltknopf hätte, der aus dem gleichen Guss des Gehäuses bestand und schwarz umrundet war. Bezeichnenderweise war von vorne betrachtet die Farbe des Innenlebens dieses Reglers bei aktiven Modus die gleiche wie die des kleinen Zeigers. Und hier war das Herz, dass ich durchbohren musste.

Als Pazifist entschied ich mich gegen die von Quatschikopf womöglich befürwortete Zerstörungsmethode, die mir wohl ohne messerähnlichem Gegenstand auch schwerlich möglich gewesen wäre. Ohne rohe Gewalt und viel einfacher und vor allem effektiver benutzte ich meinen Daumen der rechten Hand und drückte den - wie man immer so schön sagt - Knopf nach unten.
Damit verschwand nicht nur das gelbfarbig gekennzeichnete Alarmsignal, sondern eben gleiches auch, lies das Monster wieder einheitlich schwarz umranden. Und vorallem aber: es kehrte sogleich Ruhe ein.

"Tempic. Quarz Alarm" entschlich es mir. Gut, das hatte ich abgelesen. Der neugierigen Dame, die sich mit Verstummen des fortwährenden Tons beruhigt hatte, zeigte ich so gleich das mechanische Dinges, welches ihr nun keine Angst mehr einflösste.

Wer anhand des Textes noch nicht erkannt hat, um welches Stückchen Technik es sich handelte, dem empfehle ich den nächsten Satz oder die Bilderfolge unten.    

Dem Menschen in meiner Gestalt war die Verkettung der Umstände nun auch klar. Der Wecker wurde von der Mitbewohnerin schlicht und ergreifend vergessen mit in ihr Schlafgemach zu nehmen. Die fatalen Folgen waren aber noch abwendbar, es blieb noch genügend Zeit um die Tagesnachrichtenpresse in gedruckter Form an die Leserschaft des Ortes zu verteilen. Dafür galt es für mich nur einer erneuten Fingerfertigkeit nachzukommen. Die gleiche Hand, die das Übel ausschaltete, nur ein anderer Finger (sofern der Daumen einer ist) klopfte Sekunden später an eine Holstür, um die Verschlafende zu erwecken.

Der nachfolgende Spaziergang mit Hund in schwarz und Hund in weiß war bei aller Ausschmückung dieser Geschichte eher ereignislos und verlangt nach keinem Wort mehr. Allerdings war ich froh darum, dass es dunkel war, denn von Zeit zu Zeit konnte ich mir ein Schmunzeln nicht aus dem Gesicht verdenken.   


Nachwort:
Rund fünfzehn Stunden danach zeigte ein "Feldtest", dass Quatschikopf keinesfalls darauf bedacht war, dass die Menschen Zeitungen lesen, sondern in der Tat das Störgeräusch mit einer Erinnerung aus ihrer Vergangenheit verknüpfte. Damit verkeimten auch meine Hoffnungen auf eine soziale innergemeinschaftliche Ader, so verquert der Gedanke nach so noblen Gesinnungen auch sein mochte.
Obgleich ich mir nicht schlüssig bin, könnte trotzdem etwas dran sein. Denn seit diesem Ereignis schließt sich der Wächterkreis von Frau Quatschikopf. Sobald der Zeitungsbündelbringer in Form eines Kleinbusses anrollt und die Seitentür des Vehikels aufschiebt wird jetzt munter, aber nur kurz Alarm geschlagen.
Tja ... oder die 'Moral der Geschicht' - wer braucht schon Wecker, hat man doch einen Quatschikopf auf vier Pfoten ...

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