Faktischer Nekrolog, lang
Der Beginn: BilderGedanken vor der Biopsie
Vorlektüre Reflexion: Teil 1 / Teil 2 / Teil 3 / Teil 4 / Teil 5
Das kurze Ende: Faktischer Nekrolog, kurz
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Das kurze Ende: Faktischer Nekrolog, kurz
Prolog: Ein langer Nachruf aus meiner Korrespondenz in wirrer Aneinanderreihung - ohne Gegenlese, kommentarlos, aber mit Bildern untermalt. Unter dem Label "Social Media" habe ich begonnen, mit diesem ende ich hiermit eine nachdenkliche, ja, eine "postfaktische" Reihe.
Der letzte Heuballen ... |
Vielleicht tut es gut für eine Ablenkung. Morgen wird indes meine jüngere Hündin aus dem Tal der Lebenden scheiden. Die Sache ist besiegelt und mein Entschluss steht. Ich bin ein schlechter Sterbebegleiter.
"Ist mein erstes Mal" dass ich einen Hund tatsächlich begrabe. Ich denke, das könnte mir noch lange nachgehen. Stell dir vor, ich muss die Knochen brechen, das Geräusch geht mir wohl nicht mehr aus dem Kopf.
Wieso musst du die Knochen brechen?
Einen Sarg gibt's nicht. Das wird ein "jüdisches Begräbnis". Statt Leinentücher benutze ich jedoch Windel-Spuk-Tücher.
Ich werde wahrscheinlich den Schwanz an den Kopf legen, von daher kann es schon sein, dass da was bricht. Das ist eine alte mongolische Tradition.
Ich werde wahrscheinlich den Schwanz an den Kopf legen, von daher kann es schon sein, dass da was bricht. Das ist eine alte mongolische Tradition.
Preise mir jetzt nicht tröstend den Tod, ruhmvoller Odysseus.
Lieber möcht' ich fürwahr dem unbegüterten Meier,
Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld baun,
Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen. – Homer: Odyssee 11,488-491
Lieber möcht' ich fürwahr dem unbegüterten Meier,
Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld baun,
Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen. – Homer: Odyssee 11,488-491
Ich weiß nicht, ob Homer nette Schlussworte sind. Morgen beginnt jedenfalls die 26. KW und es ist der 26.06. Vor einem Monat, am 26.05., habe ich das postfaktische Tagebuch begonnen. Morgen im Zenit ist ihr Ende. Sie hat genug Erinnerungen mitgenommen für ihren Weg aus dem Leben. Ich verwehre ihr das volle Programm. Es bedarf keiner Zugabe. Danke für die Hilfe dennoch.
Wenn die Sonne im Zenit steht ist sie tot.
Ich schreibe wohl gegen eine Wand, aber irgendwann wirst du es lesen. Morgenmittag wird Selma tatsächlich gehen. Sie hat nun sehr lange gekämpft, aber nun ist es Zeit ihr die vollumfängliche Erfahrung des Sterbeprozesses zu nehmen. Vielleicht willst du an sie denken zu dieser Stunde. Post mortem habe ich nicht vor etwas in ihrem Namen zu veröffentlichen.
... wurde nicht erklommen ... |
Sie ist mit offenen Augen in meinen Armen eingeschlafen, 10 Minuten später hat ihr Herz aufgehört zu schlagen. Ich hab sie gestern hier im Garten begraben.
Es werden einige Bilder in mir bleiben, nicht nur melancholischer Art. Bei ihrer Beisetzung war der Garten voll, auch Adelhaid war dabei. Solche Erfahrungen sind für jedem Mensch und jedes Tier notwendig. Die Konfrontation mit dem Unvermeidlichen. Und selbst meine […] - und wohl alle anderen (außer mir) - hatten was dazugelernt. Man kann die Augenlider erst dann schließen, wenn die Leichenstarre eingesetzt hat. Das dauert etwa eine Stunde.
Wie auch immer: Manche haben ein langes und langatmiges Dasein, die anderen bevorzugen die Hauruckvariante durch die körperliche Manifestation. Dazwischen wird es auch was geben und wohl noch viel mehr. Amoi seg‘ ma uns wieder.
Wie hat Adelhaid reagiert?
... dieser schon (Foto: 01.09.2011, 06:56 Uhr)! |
Sie hat in der Tat etwas gemacht, was sie sonst nicht macht. Sie hat ihr kleines Geschäft im Garten verrichtet – und zwar direkt auf dem Weg. Davor hat sie an Selma geschnüffelt und auch dann noch einige Male, als diese schon unter der Erde lag.
Sie ist zurzeit läufig, von daher hat sie andere Probleme. Ihr Spielhund „Andi“, schon mehrmals geflickt, muss das im Moment ausbaden, ausgelassener als eh und je. Ihr geht es also prima. Hunde leben im Momentum. Wahrscheinlich suchen sie schon bei der ein- oder der anderen Sache nach dem Verlorengegangenen, aber auch das ist nur ein Moment des Hier & Jetzt. Es wird abgeschüttelt – und dann ist es weg. Beneidenswert, irgendwie.
Warum hat das die Evolution bei uns Menschen leider anders gemacht...?
Der Gläubige würde zwar anders fragen, aber eines steht fest – es gibt immer Tücken. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das den Freitod wählen kann. Der Mensch kann Leben verlängern und Leben beenden. Diese Fähigkeiten sind heute sehr abstrakt. Selma hätte schon am 19.5. getötet werden sollen, ich wollte sie aber durchbringen, bis jemand mit mehr ‚Fähigkeit‘ darüber verfügt.
Nun bist Du also Sterbebegleiter für einen Hund geworden, bist es noch immer und es wird nicht der letzte Hund sein, den Du auf ihrem letzten Weg begleiten wirst. Dazu passt vielleicht ein Gedicht, welches ich kürzlich schrieb und jetzt eine Übersetzung ins Portugiesische erhielt:
Desaparecidos
O seu número é incerto.
Porque não há nenhum legado deles
Nem da existência deles.
Em qualquer altura todos os anônimos
Desapareceram sem deixar rastos,
Sem que alguém sentisse a sua falta,
Sem que alguem se recordasse deles,
Como se nunca tivessem existidos.
Aqui se trata da maioria de todos humanos
Que jamais haviam vividos no nosso planeta Terra.
Porque não há nenhum legado deles
Nem da existência deles.
Em qualquer altura todos os anônimos
Desapareceram sem deixar rastos,
Sem que alguém sentisse a sua falta,
Sem que alguem se recordasse deles,
Como se nunca tivessem existidos.
Aqui se trata da maioria de todos humanos
Que jamais haviam vividos no nosso planeta Terra.
(Foto vom 01. September 2012 um 08:06 Uhr) |
Diese Todeserfahrung wird einerseits schwer und gleichzeitig vielleicht befreiend für Dich werden. Ich wünsche Dir Stärke dabei.
Morgen, wenn die Sonne im Zenit steht, werde ich den letzten Gang mit ihr antreten. In hospitierenden Angelegenheiten habe ich wohl völlig versagt. Auch der Entschluss, die Schnur zu zerschneiden, der dünne Faden, der sie dazu befähigen würde, das totale ‚Todesprogramm‘ durchzulaufen, weil Nicht-Menschen eben keine andere Wahl haben, wird durchtrennt, weil Menschen das so entscheiden können. Dies zu wissen ist ekelhaft, es durchzugehen ‚eigentlich‘ unverzeihlich. Streng genommen ist das Auftragsmord. Oder anders als Beispiel: Ein Löwe gibt seinen Löwinnen den Befehl ein Gnu zu reißen, das schon im Sterben liegt. Und niemand isst ein Stück von diesem toten Leib. Der Löwe als Auftraggeber für seine weiblichen Auftragskillerschar dient sozusagen nur als Zulieferer für die Aasfresser; ihre Wartezeit auf die ‚Beute‘ wird verkürzt. Und hier sind wir wieder bei dieser Sache, beim nächsten Schritt. Wenn ich sie, den toten Hund, im Nachguss begrabe, verweigere ich sogar dem Federvieh das Mal. Und je nachdem wie ich es tue, bekommen nicht mal die Insekten ein Stück ab.
Ja, die Erfahrungen sind nicht neu für mich, nur unter dem Gesichtspunkt sind sie anders, denn das ist das erste Mal, dass ich so Etwas selbst entscheiden muss. Alle anderen Hunde vorher waren nicht die meinen, deren ‚Leidensgeschichte‘ eine andere oder gar nicht vorhanden. Der beste Tod ist der, den man ‚erlebt‘. So einen hätte sie und hat jeder verdient.
(Foto vom 10. Juli 2016, um 08:43 Uhr) |
Befreiend werden sie sein, aber auch zeitlos. Es wird mich begleiten, nicht in dieser Manifestation, aber danach. Von daher bin ich mir äußerst unschlüssig - oder vielmehr sehr sicher - das es eben nicht so sein wird, spannt man den Bogen länger. Für diese Niederkunft wird es sicherlich mich frei machen. Doch daran denke ich nicht. Alles hat etwas Positives. Diese Gedanken haben mir jetzt schon eine unglaubliche Erkenntnis gebracht. Der beste Ort des Lebens-Ende ist auch der Ort, an dem selbiges erschaffen wurde. Das ist hier nicht der Fall. Da ich meinen Ort der Erzeugung indes kenne, weiß ich nun, wohin ich gehen muss. Ich muss irgendwann in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit.
Verschwundene
Ihre Zahl ist ungewiss,...
da es von ihnen,
von ihrer Existenz
keine Hinterlassenschaft gibt.
Alle Namenlosen
verschwanden irgendwann
spurlos, von niemand vermisst,
niemand erinnert sich an sie,
als hätte es sie nie gegeben.
Wir sprechen dabei von der
Mehrzahl aller Menschen,
die jemals auf der Erde
gelebt haben.
da es von ihnen,
von ihrer Existenz
keine Hinterlassenschaft gibt.
Alle Namenlosen
verschwanden irgendwann
spurlos, von niemand vermisst,
niemand erinnert sich an sie,
als hätte es sie nie gegeben.
Wir sprechen dabei von der
Mehrzahl aller Menschen,
die jemals auf der Erde
gelebt haben.
Ich bin leider wieder in Lohn und Brot, seit Dienstag ist wieder der „All-Tag“ eingetreten. Selma ist in der Tat gestorben, in meinen Armen, aber nicht durch die Todesspritze. Eine Betäubung hat genügt, 10 Minuten später hat ihr Herz aufgehört zu schlagen. Da sie jedoch eine Kämpferin war, hab ich meine befreundete Tierärztin gebeten auf Nummer Sicher zu gehen und doch noch mal Gift in das stille Herz zu schießen. Die Beisetzung war wunderbar. Meine […] waren anwesend und lernten gleichzeitig etwas (nicht nur das Sterbenserlebnis), was das TV den Menschen immer suggeriert, aber was eben keine Wahrheit ist. Augen kann man eben erst dann schließen, wenn die Leichenstarre eingesetzt hat. Ich werde sicherlich darüber noch etwas schreiben. […]
Ich muss mich aber noch ein wenig sammeln, indes sind die Spaziergänge mit einem völlig unproblematischen Hund wie Adelhaid ein Gedicht. Just eben komme ich von einer kurzen Abendrunde, die mich jetzt weitaus mehr inspirieren, bin ich doch völlig entspannt mit ihr an meiner Seite, leinenlos selbstverständlich.
(Foto vom 19. August 2012 um 08:43 Uhr) |
Ich denke, ich werde meine Korrespondenz in den letzten Tagen mit so vielen Menschen teilen bzw. veröffentlichen, aber dafür benötige ich noch ein wenig Zeit. Das habe ich heute beim Abschlussspiel des Fußballtrainings wieder bemerkt, wo ich mitspielte. In einer „stillen Minute“ sagte ich zu meinen Co-Trainer, dass ich jetzt Borussia Dortmund verstehen kann. Damit spielte ich auf den Anschlag auf deren Bus an. Wenn man gedanklich nicht ganz bei der Sache ist, gelingt einem reichlich wenig. Alles macht ergo nicht frei, aber ich denke das ist bei jedem anders, möglicherweise.
Frei bin ich in der Tat übrigens gerade wirklich. Ich habe aus eigenem Gefühl heraus jeden, auch den eingeschlafenen, Kontakt mit meinen Musen abgebrochen – der Müßigkeit wegen, vielleicht, wahrscheinlich ... sicherlich. Ich achte eben auf das angesprochene Gefühl. Wenn ich mich nicht fühlen kann, dann bin ich auch nicht dazu bereit auf andere einzugehen.
Mal sehen was die Zeit bringt, der Rest- und Mitsommer kann nur schön werden.
Epilog: Manche Heuballen sind nicht zu erklimmen.
(Foto vom 26. August 2016 um 06:39 Uhr) |
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