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•••Ⓚontakt

Gedanken an die Linde(n)

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UnNatur (Pt. 23)
Vielleicht eine interessante Vorablektüre: "Gedanken an die Wurzel".

Kurze Prolog: Der Titel ist irreführend. In memoriam, "Zum Gedenken an...", wäre ein geneigterer Vorlauf gewesen. Ich entschied mich jedoch dagegen und blieb bei "Gedanken an...". Lapsus calami hin oder her - dieser Eintrag erhält wohl einen Fauxpas nach dem anderen.

An dem Ort meiner Kindheit und Jugend, bis zur gänzlichen Adoleszenz meines Selbst, gab es seit ich mich erinnern kann zwei Dorflinden. Sie standen am südlichen Eingang der Marktgemeinde. In ihrer Nähe wurde eine Bank und zwischen den Bäumen eine Mariensäule mit folgender Inschrift gesetzt:
Mein liebes Kind
wo gehst du hin,
weißt, daß ich
Deine Mutter bin.
Wer liebte Dich,
so treu wie ich,
Oh stehe still
und grüße mich.
Ave Maria

Selma & Adelhaid vor Linde und Säule
Selten war ich da und niemals dachte ich daran ein Bild zu machen. Das einfache Fotografieren schrieb sich damals noch mit "Ph" und war stets etwas, was man nicht einfach so (unüberlegt) tat, selbst wenn man es beruflich oder als Hobby betrieb. Erinnerungen frästen sich zu jener Zeit noch mitten ins Hirn ein. Die verinnerlichten Bilder waren in den Erzählungen lebendiger, auch ohne dass man eine Ablichtung dafür hernahm. Man brauchte nichts Unlebendiges Leben einzuhauchen, weil es nicht existierte. Die Empfänger der Geschichten waren aufmerksam und empathisch genug veranlagt, um das Aufgeworfene in sich einzusaugen, und die besten "Bilderfänger" beherrschten dies ohne Verfälschung des Übermittelten. 
Bei aller Liebe zu diesem perfekten "Datenaustausch" muss ich heute bedauerlicherweise feststellen, dass die neue bzw. neue-gemachte Generation der Menschheit aufgrund der stetigen Digitalisierung nur noch äußerst beschränkt in der Lage dazu ist, a) Geschichten lebendig zu erzählen, was zu b) führt: das Ausbleiben von erschaffenen Bilder beim Empfänger zu erzeugen, die einem solchen es erleichterten das Gesprochene völlig in sich aufzunehmen. Diese Degenerierung hatte wenig Vorlauf, aber einen sehr schnellen Antritt - im Sinne eines Anlaufs - und ist im Heute, im Hier & Jetzt, nahezu "perfekt" zum Abschluss gekommen. Vergleicht man es mit einem 200-Meter-Sprint, so befinden sich die Läufer schon in der Zielgeraden. Der Fahnenschwenker ist scharf zu sehen, die Ziellinie kommt Stück für Stück näher. Fast wirkt es auf mich so, als ob beide Punkte ohne Zutun auf die träge Masse zusteuern, die bestrebt ist so schnell wie möglich das Ende der kurzen Rennstrecke zu erreichen.
Es verhält sich bei mir leider nicht so, dass ich dem Geschehen fassungslos zuschaue oder gar Versuche unternehme dem entgegenzusteuern. Auch ich stand einst mit allen am Startpunkt und muss mir eingestehen, dass ich heute nicht mehr da verweile. Es werden sicherlich schon einige Meter sein, die ich mich binnen weniger Jahre davon entfernte, der Masse schleichend folgen, um sie nicht aus dem Blickfang zu verlieren - warum auch immer? Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die viele kleine Dribbel-Schritte bei mir und wenig anderen zwangsgebunden erfolgten, Die großen Sprünge schreibe ich mir/schreibt sich jeder Mitstreiter (bitte) selbst zu buche.
So kam es, dass ich vor sechs Jahren, und nach über zehnjähriger weitest gehender Abstinenz meiner einstigen Heimatstätte, erneut bei den Dorflinden eintraf, zu Fuß mit zwei Hunden und - das ist jetzt der Punkt, der sofort  folgt! - bestückt mit einer Digitalkamera. Ich fotografiere seit meiner erwähnten Zehn-Jahre-Abwesenheit eifrig (und tue es darüber hinaus noch heute), nicht um es anderen zu zeigen, sondern weil es kaum noch andere gibt, denen ich Geschichten mit Bilder aus meinen Erzählungen übermitteln kann. Dazu kommt der Umstand, dass ich wohl nur noch einen perfekten Erzähler mimen kann, es aber tatsächlich nicht mehr bin. Im Gegensatz zu den 200-Meter-Sprintern brauche ich einen ordentlichen Vorlauf und viel mehr verbrachte Zeit mit dem jeweiligen Zuhörer, als der langsamste aller Läufer für einen Zieleinlauf benötigen würde...
An dieser Stelle breche ich ab, mit der jähen Entschuldigung für das düstere Zeichnen eines unangenehm gefühlten Istzustandes aus meiner eigenen Perspektive. Im Grunde sind wir alle Optimisten, nur die Blase um uns herum ist größtenteils kleindimensionierter (sic!) geworden und beinhaltet ohnehin weniger Gleichgesinnte. Ein wirklicher Optimist würde das als ein vollkommendes und immerwährendes Glücksmomentum ansehen, nicht allerdings ohne sich bewusst dabei zu sein, dass das Gegebene in verfremdeten Bildern dargestellt wird. Man ist fremd im eigenen Land, und nur die Fremden aus fernen Ländern sind fähig mitzufühlen. [Auch für diesen letzten zerrissenen Satz bitte ich mich selbst um Verzeihung.]

links: Baumstumpf der hinteren Linde / rechts: die vordere
Zurück zur Mariensäule und vor allem den beiden Linden. Ich mache es kurz: Heute existiert alles nicht mehr. Die Bank ist weg, die Säule ist verschwunden und die Linden, ja, die Linden... sie wurden gefällt. Die Hintere (im Bild zu erkennende), war innen hohl. Ein Sachverständiger hatte es erkannt und zog seine Schlüsse wie ein Dentist Zähne. Der exakte Hergang nach der praktischer Schlussfolgerung liegt für mich im Verborgenen, die Konsequenzen dieser Entscheidung lagen noch Wochen danach für alle offen zur Begutachtung am Ort der Zerstörung. Der förmliche Staatsakt wurde mir indes von einer Anrainerin erzählt - im Übrigen sehr bildhaft -; es trug sich ungefähr so zu: Irgendwann weit nach Sonnenuntergang (und noch vor der Zeitumstellung auf die "Falschzeit") rückten Einsatzkräfte zur Vollstreckung des Todesurteils aus. Anwesend waren neben forstwirtschaftlichen Fachleuten auch die Feuerwehr und das THW. Das Resultat war ein voller Erfolg, es gab keine Zwischenfälle. Was sich gut anliest, kann mit der Beschreibung des Ergebnisses getrübt werden, was allerdings ausbleibt. Es ist unglaublich unnötig es detailliert zu erwähnen, denn mit der Gefahr mich zu wiederholen: Die Bäume sind fort und mit ihnen verschwanden Bank und Säule. Erklärung bedarf nur jene flapsige Randerwähnung meinerseits zum offensichtlichen Tatverlauf, die jetzt vermutend folgt: Eine Beteiligung von Schaulustigen wurde offensichtlich nur spärlich zugelassen. Nicht anders kann ich es mir erklären, warum die Fällung zu einer so späten Stunde einberufen und verübt wurde. Und auch dies kann ich kurz und entscheidend fortführen - spekulativ wohlgemerkt -, stellte ich doch nach der Besichtigung der traurigen Stätte der Vernichtung unfachlich folgendes fest: Die Linde in vorderster Front erschien aufgrund der Beschaffenheit des verbliebenen Baumstumpfs tadellos. Mit anderen Worte: Ich bin der Ansicht (- nicht im Wissen! -), dass diese Linde gesund war und folglich völlig unnötig gefällt wurde. Wie gesagt, es ist meine Auffassung, und sie wäre ebenso völlig unnötig wie dieser gesamte Eintrag, würde jetzt nicht noch etwas folgen.

Die Kasberger Linde / Bildquelle: wikipedia.org
Als Oberfranke ist mir ein Baum in Erinnerung, einer der zehn ältesten Linden Deutschlands: Die Kasberger Linde im Landkreis Gräfenberg in der Fränkischen Schweiz. Sie ist wohl seit Jahren schon längst tot - mehr oder weniger -, steht dennoch heute immer noch, weil sie zum Stehen gehalten wird. Man kann das alles kurz in der Franken-Wikipedia oder noch genauer in der "normalen" Wikipedia nachlesen (hierzu empfehlenswert: der Diskussionsverlauf, der länger ist als der gesamte Eintrag!).  
Jene Sommer-Linde ist dem Tode geweiht und doch findet viel Leben an ihr und um ihr einen Raum. Hervorzuheben wäre hier der aus dem Stamm herauswachsende Holunderstrauch, aber auch der Mistelbewuchs. Misteln, diese Halbschmarotzer, werden in der "Neuzeit" oft missverstanden, in der "Altzeit" wurden sie dagegen nahezu verheiligt. Fakt ist, ein Hemiparasit bringt seinen Wirt niemals um, so er denn ihrer würdig erscheint. Mit/in anderen und sehr kurzen Worten: Herrscht ein Gleichgewicht der richtigen Arten miteinander, so braucht sich niemand Gedanken darüber machen. Meisen vernichten Misteln, Drossel verbreiten sie - um es mal ganz einfach zu halten. Sind überwiegend Baumarten der gleichen Sorte und/oder solche mit anfällig häufigem Mistelbewuchs vor Ort, kann man davon ausgehen, dass die Hand des Menschen keinen paradiesischen Landstrich in seiner Neuschaffungsideologie hervorbrachte. Will man dennoch einwirken, sollte man darüber nachdenken, ob man die Misteln nicht nützen kann, um gleichsam so die Bäume zu schützen.

am Dorfteich unweit vom Lindenplatz
Was kann uns jetzt das Vorgehen der Menschen in Bezug auf die Kasberger Linde sagen? Vielleicht sieht man hier den Versuch einen Baum so lange wie möglich zu unterstützen, auch wenn man davon ausgehen kann, dass in erster Linie die Erhaltung die vordringlichste Motivation war. Um ehrlich zu sein, kann ich das nicht beurteilen. Ich kann nur Mutmaßungen niederschreiben, die auf meinen Beobachtungen resultieren. Dieses Weblog ist unprofessionell und privat, von daher liegt es nie in meiner Intention Nachverfolgungen vorzunehmen. Ich behalte mir einfach vor in meiner Sphäre* des Eigenerlebens zu bleiben, auch wenn es mir durch einfache Mittel durchaus möglich wäre mehr in Erfahrung zu bringen. Im Falle der Dorflinden meines Heimatortes ist es offensichtlich, dass ich solche Recherchen ausschließe, wäre es doch für mich (die) eine (genannte) Kleinigkeit gewesen bei Personen anzufragen, die ich schon seit meiner Kindheit kenne und die zu unmittelbarerer Information befähigt sind. Detektivisch könnte ich ergo in Eigeninitiative herausfinden, auf welchen "(vorrübergehenden) Abstellgleis" sich heute die Bank und vor allem die Mariensäule befinden. In der Tat hätte ich da sogar schon eine Ahnung, sind mir die rapiden Gepflogenheiten der hiesigen Zunft doch bekannt, die rein pragmatischer Natur zu sein scheinen. Dennoch: All das liegt mir fern. Ich bleibe meiner Betrachtung treu, hege keinen Drang zur Einmischung und fühle mich auch nicht dazu genötigt Schlüsse zu ziehen. Dennoch²: Bei einer Beschreibung, bei der Niederschrift der reinen Beobachtung bleibt es nicht aus, dass zwischen den Zeilen Dinge wie Misteln an Kronen hängen bleiben, die aus dem Wurzeln der Bäume deren und dessen Lebenselixier - Wasser mit angereicherten Nährsalzen - ziehen. Wenn es Überlegungen meinerseits geben sollte, dann würden diese darauf hinauslaufen eine Lösung zwischen beiden Radikalen zu finden, den jeweiligen Umständen angemessen - in den beiden "Fa(e)ll- und Haltebeispielen" sind derartige Lösungsansätze allerdings ergebnisgeschlossen. Was bleibt ist die schlichte und zukunftsorientierende Erkenntnis aus dem Geschehen des Vergangenen die richtigen Schlüsse zu ziehen, um "Probleme" solcher oder ähnlicher Art von vornherein zu vermeiden oder gänzlich auszuschließen.

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Ich verlasse diese Sphäre nur dann, wenn ich einen "emotionalen" Bezug zu etwas über eine gewisse Zeit entwickelt hatte, und nur dann, wenn es der Erzählung dienlich ist. Als Beispiel dafür dient mein Groschenhefdla #5 mit dem Titel "Vom Mädesüß und Himbeerstrauch". 


[Kleine Quasi-Fortsetzung gefällt? - Gedanken an das Marterla]

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